Haareis – was steckt hinter dem geisterhaften Phänomen?

Haareis – was steckt hinter dem geisterhaften Phänomen?

Wenn die Temperaturen knapp unter den Gefrierpunkt fallen, kann man in manchen Wäldern ein seltenes und faszinierendes Naturphänomen beobachten: Haareis. Es sieht aus wie feines, weißes Haar oder Zuckerwatte, die plötzlich aus morschem Holz wächst. Doch wie entsteht dieses geheimnisvolle Eis?

Was ist Haareis?

Haareis ist eine spezielle Art von Eisablagerung, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen entsteht. Es bildet sich auf totholzigen Ästen, vor allem von Laubbäumen wie Buche oder Eiche, die mit speziellen Pilzen besiedelt sind. Das Ergebnis sieht aus wie ein zartes Geflecht aus feinen Eishaaren, die kaum dicker sind als ein menschliches Haar, und eine Länge von bis zu 20 Zentimetern erreichen können.

Bereits im Jahr 1918 wurde Haareis vom Forscher Alfred Wegener beschrieben. Er vermutete schon damals, dass ein Pilz dafür verantwortlich ist. Doch seine Theorie wurde von anderen Wissenschaftlern ignoriert, die an rein physikalische Prozesse glaubten. So blieb die wahre Natur von Haareis lange ein Rätsel – bis eine Studie im Jahr 2008 Wegeners Theorie bestätigte.

Wie entsteht Haareis?

Entscheidend für die Entstehung von Haareis ist ein winteraktiver Pilz mit dem Namen Exidiopsis effusa. Dieser besiedelt das Innere von totem, feuchtem Holz. Dabei sondert er Proteine ab, die vom Wasser aufgenommen werden.

Sobald die Temperaturen nun unter den Gefrierpunkt sinken, gefriert das im Holz gespeicherte Wasser und dringt nach draußen. Doch dann passiert etwas Besonderes: Die Proteine im Wasser verhindern, dass sich klumpige Eisstrukturen bilden. Während das Wasser also aus dem Holz herausgedrückt wird, gefriert es zu hauchzarten Eisfasern, die sich wie seidene Haare oder Wolle um den Ast legen. Die Struktur wächst schrittweise, Schicht für Schicht, mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 10 Millimetern pro Stunde.

Zeitraffer-Aufnahme von Haareis

Keine Geisterhaare, sondern Biochemie

Doch Haareis ist wählerisch: Damit es sich zeigt, müssen die Bedingungen nahezu perfekt sein. Die Temperaturen dürfen nur knapp unter 0 °C liegen, die Luftfeuchtigkeit muss hoch genug sein, und vor allem darf kein Wind wehen – denn die zarten Eishaare sind so empfindlich, dass sie schon bei der kleinsten Bewegung abbrechen.

Das Ergebnis ist eine frostige Skulptur der Natur, die sich oft nur für wenige Stunden zeigt. In der Wintersonne beginnt Haareis zu glitzern, seine feinen Strukturen scheinen fast überirdisch – ein Anblick, der früher viele Menschen glauben ließ, es handle sich um Geisterhaar oder ein Werk von Eisgeistern. Heute wissen wir, dass es weder Magie noch Geister sind, sondern die feine Biochemie eines Pilzes, die diese Schönheit hervorbringt.

Wer zur richtigen Zeit einen Winterspaziergang durch den Wald macht, kann dieses fragile Naturschauspiel mit eigenen Augen bestaunen. Die besten Chancen, Haareis zu sehen, hat man während der kalten Jahreszeit, vor allem in den Monaten November bis März.

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