Windscherung – Wenn die Luft Kanten bekommt

Windscherung – Wenn die Luft Kanten bekommt

Hoch oben, wo Flugzeuge gleiten und Wolken treiben, lauert eine Kraft, die niemand sieht. Und doch kann sie Turbulenzen auslösen, Maschinen gefährlich nahe an ihre Grenzen bringen – und sogar Stürme formen. Diese Kraft heißt Windscherung.

Ein Phänomen mit plötzlicher Kraft

Windscherung beschreibt abrupte Änderungen in der Windgeschwindigkeit oder -richtung über einer Region.

Solche Veränderungen können sowohl horizontal als auch vertikal auftreten. Das klingt harmlos – doch in der Realität entstehen dadurch Luftschichten, die sich wie unsichtbare Messer durch die Atmosphäre schneiden.

Vor allem Piloten kennen den Begriff. In Bodennähe kann eine plötzliche Windscherung beim Start oder bei der Landung kritisch werden. Die Maschine sinkt schneller als geplant oder wird zur Seite gedrückt. Solche Momente fordern höchste Konzentration und Erfahrung im Cockpit.

Wie entsteht Windscherung?

In der Atmosphäre unterscheidet man zwei Arten von Windscherung: horizontal und vertikal. Horizontale Scherungen entstehen vor allem dort, wo der Wind auf Hindernisse trifft – zum Beispiel hohe Gebäude oder steile Felswände. Die Luft strömt dabei unterschiedlich schnell um das Hindernis herum, was plötzliche Richtungswechsel verursachen kann.

Die vertikale Windscherung zeigt sich dagegen mit zunehmender Höhe. In Bodennähe bremsen Unebenheiten wie Häuser, Bäume oder Hügel den Wind ab. Je weiter man sich von der Erdoberfläche entfernt, desto weniger Widerstand trifft die Luft – und desto schneller kann sie strömen. Deshalb weht der Wind meist stärker, je höher man sich befindet.

Auch Jetstreams, Frontsysteme, Inversionswetterlagen oder Gebirge können Windscherung verursachen. In den Tropen führt starke Windscherung manchmal sogar dazu, dass sich ein Hurrikan abschwächt – oder gar nicht erst entsteht.

Gut sichtbare Windscherung. Hier ändert sich die Windrichtung stark mit der Höhe: Die oberen Wolken wandern nach rechts, die unteren nach links. Aufgenommen am 08. Juli 2025 in Bayern.

Risiko für Luftfahrt und Wetter

Für die Luftfahrt ist Windscherung ein Sicherheitsrisiko. Deshalb wird sie weltweit genau beobachtet. Große Flughäfen nutzen LIDAR- oder Doppler-Radar-Systeme, um abrupte Windwechsel frühzeitig zu erkennen. Moderne Flugzeuge verfügen zusätzlich über Sensoren, die Piloten warnen.

Doch nicht nur in der Luft wirkt Windscherung. Auch Wetterphänomene hängen davon ab. Besonders bei der Bildung von Superzellen – mächtigen Gewitterstrukturen, die Tornados auslösen können – spielt sie eine entscheidende Rolle. Ohne vertikale Windscherung würde sich die Rotation solcher Stürme kaum aufbauen.

Der unsichtbare Grenzverlauf

Meteorologen sprechen bei der vertikalen Windscherung auch vom Windgradienten – je stärker sich Windrichtung und -geschwindigkeit mit der Höhe ändern, desto größer ist die Scherung.

Am Boden spürt man davon meist nichts. Und doch ist sie da – formt Gewitter, bringt Flugzeuge ins Wanken und beeinflusst die Dynamik unserer Atmosphäre.


Übrigens: So bremst die Windscherung Hurrikans

Tropische Stürme beginnen oft harmlos – mit einem Bereich von tiefem Luftdruck über dem warmen Wasser der Tropen. Dort steigt heiße, feuchte Luft rasch auf und liefert dem entstehenden Sturm Energie. Erste Gewitterzellen formieren sich, die Luft beginnt zu rotieren. So kann aus einer tropischen Störung ein Sturm – und schließlich ein Hurrikan – werden.

Damit sich ein Hurrikan richtig entfalten kann, braucht er Ordnung. Genauer gesagt: eine möglichst symmetrische Struktur in der Vertikalen. Je gleichmäßiger der Aufbau, desto schneller dreht sich das System – wie eine Eiskunstläuferin, die die Arme anzieht, um sich schneller zu drehen.

Doch genau hier kommt die vertikale Windscherung ins Spiel. Ist sie zu stark, kippt sie das obere Ende des Sturms zur Seite. Die Folge: Der innere Luftkreislauf verliert an Schwung. Wärme und Feuchtigkeit – der Treibstoff des Hurrikans – gelangen nicht mehr ungestört ins Zentrum. Der Sturm verliert seine Kraft. Im Extremfall zerfällt er sogar vollständig.

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